Das Bedürfnis zu heulen

Trigger Warnung



Warum eigentlich? Warum dieser Blog, warum gerade hier und warum nach so langer Zeit? Ich habe fast ein Jahr diesen Blog nicht mehr angerührt, auch wenn ich ihn sowieso nie "offiziell" ruhen haben lasse. Und warum kann ich das nicht?

Dieser Blog verbindet mich mit so vielen Dingen aus meiner Vergangenheit. Dieser Blog IST meine Vergangenheit. Und doch ist sie mehr als das. Oder weniger. Je nach dem, wie man es auffassen will. Dieser Blog besteht aus kleinen Momentaufnahmen, die mein Gehirn der Welt teilen will. Dieser Blog beschreibt viele meiner absoluten Tiefpunkte und vielleicht auch einige meiner Höhepunkte. Dieser Blog ist so privat, wie ein öffentlicher Blog es sein kann.

Die Kunst des Auslassens. Ich habe es perfektioniert. Ich lasse meine Gefühle aus, sodass sie mich nicht mehr bedrücken müssen - auch wenn sie es wahrscheinlich trotzdem tun. Während ich trotzdem Dinge bewusst auslasse, die mir entweder zu persönlich sind oder das Bild, das ich von mir zeichnen möchte verzerren würde.

Dieser Blog ist eine Farce. Eine Farce für mich geworden, denn niemanden interessiert's. Niemand interessiert sich für mich und das ist gut so. Deswegen schreibe ich hier. Nicht auf Facebook, nicht auf Instagram, nicht auf Tumblr, nirgendwo, wo mich Reallifeleute sehen.

Wobei streng genommen natürlich viele Leute von diesem Blog wissen. Doch ich gehe davon aus, dass sie diesen Blog vergessen haben. So wie ich ihn fast vergessen hätte, wenn ich nicht jetzt zufällig einfach das Bedürfnis habe, meinen dämlichen Hilfeschrei hier zu veröffentlichen.

Was mache ich hier?

Ich habe hier nichts mehr zu suchen. Ich will diesen Blog nicht mehr betreiben. Und seltsamerweise fällt mir das gerade erst in diesem Moment auf, in dem ich das schreibe.

Ich will den Blog nicht löschen. Weil ich ein sentimentaler Nichtsnutz bin. Weil ich mir vorstelle, dass ich irgendwann, wenn ich groß und stark bin, doch mal über meine alten Posts sitzen kann. Schmunzeln kann. Und mir denken kann "Wow, ich bin echt weit gekommen in meinem Leben." Und nur für diesen einen Nutzen werde ich diesen Blog noch aufrecht erhalten. Ich werde ihn am Leben lassen und nicht einfach von der Bildfläche verschwinden.

Dieser Blog bedeutet Hoffnung. Hoffnung, dass eines Tages in meinem Leben alles besser wird. Dass ich besser werde. Dass ich irgendwann im Leben das Ganze hier wert bin. Denn ich bin es nicht. Nicht in diesem Moment.

Und während ich so schreibe und schreibe habe ich keine Ahnung, wohin mich das eigentlich führen wird. Ich weiß nur, dass es ein elendig langer Post wird, denn er ist schon viel zu lang, dafür, dass ich ihn gerade erst anfange.

Was mache ich hier?

Ich schreie in die Leere hinein. Lasse mich verschlucken von diesem Nichts von Internet. Ich schreie hier hinein, weil es niemanden stört. Und weil ich weinen will.

Ich will weinen, denn die letzten Monate konnte ich es nicht.
Ich fühle diesen Kloß im Hals, jeden Tag. Und ich wache auf und denke "ich hasse mich". Ich hasse mich so sehr. Ich habe keine Richtung im Leben. Ich habe etwas, aber es ist eine Frage der Zeit, dass ich alles verliere. So fühle ich mich.

Ich fühle mich so, dass wenn ich anfangen könnte zu weinen, ich mich für Wochen weinend einsperren könnte. Ich war die letzte Zeit ab und zu den Tränen nah. Manchmal hatte ich sogar wirklich geweint. Tränen flossen stumm über meine Wangen.

Und doch war es das. Ich war nicht alleine, ich wollte niemanden damit belasten, also habe ich die Tränen weggewischt und es gelassen zu weinen. Es war kein guter Zeitpunkt.

Ich hab ständig dieses Gefühl, dass wenn ich weine und jemand anderes dabei ist ich die Person nur belästige oder belaste. Dass ich dann für deren Schuldgefühl verantwortlich bin, denn... wer heult schon einfach so darauf los ohne Grund? Wer wohl? Ich.

Und niemand ist schuld daran. Nur ich. Und das kann ich anderen nicht aufbürden.

Mein Leben fühlt sich häufig an wie eine Bürde. Eine Bürde für andere, die mich tragen müssen. Nicht selten habe ich dann den Gedanken: "Warum existiere ich dann noch?" Oder ungeschönter: "Warum lebe ich noch?"

Ja, ich hatte und habe Gedanken über meinen eigenen Tod. Nicht erst jetzt, nicht erst seit letztem Jahr, nicht erst seit drei Jahren. Gefühlt schon immer. Ich will sterben, doch gleichzeitig will ich es nicht. Weil ich niemanden diese Bürde auferlegen kann, das sich mein Leben nennt.

2013 hat sich jemand umgebracht, der mir sehr wichtig war. Jemand, den ich schon seit kleinauf kannte. Dieser Tag hatte mich verändert. Oder zumindest dachte ich das. Denn rückblickend betrachtet war ich davor auch schon so, nur hatte ich es mir vorher nicht eingestanden.

Egal. Jedenfalls hat mir dieses Erlebnis etwas gezeigt. Dass Selbstmord keine Freikarte ist. Auf den ersten Blick lindert er vielleicht den persönlichen Schmerz - nein, er löscht ihn sogar aus - aber auf den zweiten Blick löscht er den Schmerz nicht wirklich aus. Man gibt den Schmerz weiter. Man verteilt ihn auf alle Personen, denen man jemals wichtig war. Nicht nur auf die, die man wirklich wirklich mochte. Nein, auch Leuten, die einem vielleicht nur einmal gesehen hatten. Leute, die am letzten Tag vor dem Tod noch nett Smalltalk gemacht haben.

An einem Tag ist man noch da. Am nächsten ist man weg und man fragt sich als Hinterbliebener (egal in welcher Form): "hätte ich etwas tun können?" Hätte ich die Person bei dem letzten Treffen stärker umarmen können? Hätte ich Anzeichen bemerken sollen? Hätte ich besser zuhören müssen? War ich ein Grund mehr für die Person zu gehen?

Und bei jeder Antwort würde ich, als Person, die sich schon mal überlegt hatte sich umzubringen (ja, ich gebe es zu!): Nein.

Versteht mich nicht falsch. Natürlich hätte man immer irgendetwas tun können. Natürlich ist Selbstmord keine Lösung für irgendetwas. Doch warum nicht? Und was geht im Kopf vor, wenn man sich entscheidet für immer zu gehen?

Hätte ich 2013 irgendetwas tun können? Hätte ich ihn stärker umarmen können? Hätte ich ihm sagen sollen, dass alles gut werden würde? Hätte ich meine empathischen Superkräfte aktivieren müssen? War meine bloße Existenz schuld an seinem Tod?

Nein.

Denn es ist passiert. Er hat sich umgebracht und es war seine eigene Entscheidung. Eine Entscheidung, die fest stand, eine Entscheidung, die er selbst für sich und für alle anderen entschieden hat. Es ist, als würde man einen Weg entlang laufen. Jederzeit könnte man abdrehen. Wirklich jederzeit. Vorne ist eine Klippe. Jede Sekunde, in der man auf diese Klippe zusteuert, kann man noch überlegen. Man kann sich hinsetzen und warten. Man kann umdrehen und woanders hin gehen. Man kann direkt vor der Klippe sein, sich hinsetzen und mit dem Fuß im Nichts stecken, aber trotzdem noch leben. Bis zu diesem Punkt können andere Leute Einfluss nehmen. Sie können sagen: "Hey, kehr um, du willst da nicht hin." Sie können sagen: "Setz dich hin oder bleib wenigstens stehen. Hauptsache du fällst nicht von der Klippe!" Oder sie könnten sagen: "Bitte, bleib auf dieser Welt." Sie können alles sagen. Sie könnten der Person auch in den Weg gehen und sie von der Klippe losreißen. Doch am Ende ist es die Entscheidung dieser Person, ob man sich von den anderen Personen im Leben beeinflussen lassen möchte oder nicht. Es ist die Entscheidung, überleben zu wollen oder nicht.

Und ich?

Ich schaue auf die Klippe hinüber. Mal ist sie näher und gähnender, als zuvor. Mal ist sie weiter weg, doch ich sehe sie jeden Tag. Bin ich gefährdet mich umzubringen? Ich denke nicht. Wie schon vorher gesagt könnte ich die Bürde meines Todes nicht einfach Leuten hinterlassen, die ich liebe. Und ich klammere mich daran. Dass es Leute gibt, die ich liebe, und die mir wichtig sind. Ich will nicht, dass sie meine Leiche identifizieren müssen und sich auf ewig fragen, ob sie etwas hätten tun können. Ich will nicht, dass sie sauer auf mich werden und jede Begebenheit, die sie mit mir erlebt haben hinterfragen. Ich will Menschen nicht schlecht in Erinnerung bleiben.

Wenn ich schon keine gute Erinnerungen auslösen könnte, will ich zumindest nicht...in Erinnerung bleiben. Ich würde lieber in Vergessenheit geraten, als Schmerz bei Menschen auszulösen.

Deswegen sage ich auch immer: Ich will nicht sterben. Ich will nur nicht existieren.

Das ist für mich ein gewaltiger Unterschied.

Ist es depressiver an Selbstmord zu denken oder sich zu wünschen nie geboren worden zu sein? Das ist eine rhetorische und selbstironische Frage. Entweder man fühlt sich depressiv oder auch nicht. Ich halte nichts davon, Leid mit anderen zu vergleichen.

Wenn ich einen Stein im Schuh habe tut es natürlich weniger weh, als ein Messer in die Brust gerammt zu bekommen. Trotzdem muss ich mich nicht darüber freuen einen Stein im Schuh zu haben.

Ein Stein im Schuh - Die Geschichte meines Lebens

Das gibt eine sehr gute Überschrift, finde ich. Treffend für das, was ich seit Jahren empfinde. Ich habe das Gefühl, andere Leute lernen laufen, doch ich stehe da in kaputten Schuhen mit einem Stein darin und soll genauso schnell laufen wie alle anderen. Man gewöhnt sich an diesen Stein im Schuh. Man geht davon aus, dass alle einen Stein im Schuh haben. Doch wenn man merkt, dass andere ihn nicht haben, fühlt man sich dumm. Dumm, weil man trotzdem nichts dagegen macht. Und dann trifft man auf Menschen, die einen Stein im Schuh UND ein Messer in der Brust haben und trotzdem schneller laufen als man selbst. Und man wird so sauer. Man wird so sauer auf andere Menschen und noch mehr auf sich selbst. Man wird sauer, dass man nicht so gut ist. Dass man nicht genug ist.

Und nie gut genug sein wird.

Was mache ich hier überhaupt?

Mein Ziel des Tages ist irgendwo erreicht. Beim Schreiben musste ich ein wenig weinen. Es hat sehr gut getan. Trotzdem geht es mir nicht gut. Es geht mir nicht gut und ich fühle mich, als müsste ich sterben. Als müsste ich dafür bestraft werden, dafür, dass es mir nicht gut geht.

Mir geht es nicht gut und in diesem Post gestehe ich mir ein, dass es mir nicht gut geht.

Denn das ist das ermüdendste der ganzen Sache. Menschen fragen mich, wie es mir geht und ich kann weder sagen "mir geht's kacke" noch "mir geht's gut". Wenn ich sage, dass es mir gut geht belüge ich sie und mich selbst und komme mir sehr verarscht vor.
Wenn ich sage, dass es mir schlecht geht, fühle ich mich schuldig, meinen Mitmenschen gegenüber so schlechte Vibes zu verbreiten und sie dazu zu zwingen, sich um mich zu kümmern. 

Und was heißt es überhaupt, sich um mich zu kümmern? Was erwarte ich von ihnen?

Ich erwarte nichts, aber egal was mir meine Mitmenschen im Gegenzug anbieten. Ob sie mich einfach heulen lassen oder mich umarmen oder mir wirklich Hilfe anbieten - ich hab keine Ahnung, ob ich das kann. Ich fühle mich dann dazu verpflichtet, dass es mir wieder besser geht. Ich fühle mich dann verpflichtet, für sie alle wieder besser zu werden.

Und dann geht es mir noch schlechter, weil ich mich frage, warum ich das ganze nicht für mich selbst tun kann.

Ich will, dass es mir besser geht. Ich will, dass es mir gut geht. Damit mein Umfeld eine Person im Leben hat, mit der sie rechnen können. Damit mein Umfeld von meiner Präsenz bereichert werden kann - anstatt runtergezogen. Damit mein Umfeld...

Damit ich einen Sinn im Leben sehe.


Also... was mache ich jetzt? 

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